War der Whisky früher besser?

Meinung 24. Jan. 2021

Oder: Irgendwer lügt doch...

Was haben sie uns noch vor 20 Jahren alles erzählt. Daß die Lagerung das entscheidende Element der Whiskyherstellung ist, daß nicht nur das Holz eine große Rolle spielt, sondern auch der Ort der Reifung. Und daß deshalb jeder Single Malt so einzigartig ist, weil er in einer einzigartigen Umgebung reift  -  die Fässer, und damit natürlich auch der Spirit, die besonderen Parameter der jeweiligen Umgebung atmen.
Deshalb widerspiegelt selbstverständlich ein Islay-Malt seine ganz eigene Umgebung mit maritim-salzigen Noten, wurden doch die Lagerhäuser teilweise so nah am Wasser gebaut, daß die Wellen bei Flut an die Außenwände schlagen. Ganz im Gegensatz zu einem waschechten Highlander, der in der klaren Bergluft in großer Höhe altern darf, und so weiter und so fort.
So klang es bei jeder Führung, in jeder Masterclass wurde dieses Gebet gesprochen und die Marketingabteilungen der Destillerien wurden nicht müde, uns dieses Mantra einzubläuen. Whisky widerspiegelt seine Umgebung. Und wir haben das geglaubt.
Irgendwann, es dürfte so etwa 10 Jahre her sein, wurde dann ruchbar, daß die größeren Konzerne dazu übergehen wollen, den Whisky nicht mehr am Entstehungsort zu lagern, sondern zentralisiert. Aus Kostengründen, versteht sich, bei einem Sattelzug voll abgefüllter und verpackter Flaschen kommt das Verpackungsmaterial immerhin auf knapp 20 Tonnen Gewicht  -  fast soviel, wie der Whisky selbst. Und der evangelische „Whisky-Papst“ Prof. Schobert wurde von mir fast milde belächelt, als er sich anläßlich einer Clubveranstaltung im Lindenbräu heftig über den Umstand erregte, daß auch einige Islay-Brennereien diesem Muster folgen wollten. Der „New Make“ sollte in Tanklastern aufs Festland verfrachtet werden und dort (in der Nähe von Glasgow) in Fässer gefüllt und gereift werden. Unvorstellbar  -  oder um es mit den damaligen Worten von Prof. Schobert auszudrücken: „In 10 Jahren wird ein Islay-Whisky kein Islay-Whisky mehr sein! Ich werde dieses Zeug nicht mehr trinken!“
Damals scheinbar eine schwer vorstellbare Übertreibung  -  heute bittere Realität.
Alle Konzerne sind still und leise diesem Muster gefolgt, allen voran DIAGEO, deren „Warehouse-Farm“ bei Stirling selbst aus dem Weltall zu erkennen sein dürfte.... Und es gibt mehrere davon.

DIAGEO Warehouse-Farm bei Stirling (Quelle: Google Maps)

Ich selbst bin kürzlich auch Opfer dieser Businessstrategie geworden. Wie manchen bekannt sein dürfte, haben Hunter Laing & Co. Ltd. im Jahr 2018 auf Islay eine neue Distillery mit dem klangvollen Namen „Ardnahoe“ gegründet. Es ist die 8. und jüngste Brennerei auf meiner Lieblingsinsel, gebaut und betrieben nicht von einem Großkonzern, sondern von einer Familie aus Whisky-Enthusiasten, die durch ihre unabhängigen Abfüllungen schon lange überzeugen. Außerdem in Planung und Inbetriebnahme mit an Bord: Whisky-Legende Jim McEwan himself. Was könnte es schöneres geben? Also kaufte ich, zusammen mit Thilo, direkt ein Fass, unmittelbar nachdem dieses Angebot auf dem Markt war. Und zwar für einen üppigen Batzen Bares, versteht sich. Ich muß nicht erwähnen, daß ich, angesichts der schieren Ansammlung von Whisky-Know-How und entsprechender Philosophie in der neuen Brennstätte, gar nicht auf die Idee kam, das Google-Luftbild nach Lagerhäusern abzusuchen. War ja auch alles noch im Werden begriffen.
Bis die zum Faß zugehörige Besitzurkunde im Februar 2020 in Waldbronn eintraf und auf dieser zu lesen war: „Storage: Stroud Bond“.
Nun gut, dachte ich, dann wird dieses „Stroud Bond“ irgendein Lagerhaus auf Islay sein. War es nicht. Google Maps fand nichts dergleichen und ich begann, mit nun detektivischem Ehrgeiz nach diesem geheimnisvollen Ort zu suchen. Zunächst erfolglos, stieß ich irgendwann auf eine Datei, die „Her Majesties Revenue & Customs“ jährlich veröffentlicht, der britische Zoll also. Sie enthält ein Verzeichnis aller Grundstücke in Großbritannien, für die eine Erlaubnis zur Herstellung und/oder Lagerung von Alkoholika erteilt wurde. Und siehe da - dort fand ich mein „Stroud Bond“ mitsamt Genehmigung zur Lagerung von Whisky. Und mit einer Adresse.

Ardnahoe-Warehouse "Stroud Bond" bei Glasgow (Luftbild: Google Maps)

Ernüchtert musste ich feststellen, daß unser Fass Ardnahoe in einem Industriegebiet vor den Toren von Glasgow liegt. Und zwar in einer ordinären Metall-Leichtbauhalle mit Betonboden. Nicht in einem Warehouse mit Lehmboden, der doch einen so wichtigen Einfluß auf das Holz hat und auch ohne den berühmten Schimmel an den Wänden, der doch ach so wichtig für das Entstehen des einmaligen Mikroklimas ist, das den Whisky während der Reifung prägt. Nichts dergleichen.

Vielmehr scheint es neuerdings völlig wurscht zu sein, wo der Whisky lagert. In der DIAGEO-Warehouse-Siedlung bei Stirling liegen Highlander und Islander einträchtig nebeneinander  -  und keiner spricht mehr über das Thema „Einfluß der Fasslagerung“. Bei den größeren Brennereien werden noch ein paar „Show-Warehouses“ gepflegt, in denen man für die gutgläubigen Touristen Führungen anbieten  -  und zwar hinter‘s Licht...
Was soll man als ehrlicher Whisky-Fan davon halten? Wurden wir schon vor 20 Jahren belogen? Oder belügen sie uns jetzt? Und wenn sich das Thema Lagerung schon als Lügengebäude entpuppt - was stimmt dann an der ganzen schönen Whisky-Story überhaupt noch? Alles nur nettes Story-Telling? Ist ein Whisky, der auf Islay gebrannt und bei Stirling gelagert wurde, überhaupt noch ein echter „Single Malt“?

Ich persönlich tendiere dazu, zu glauben, daß uns die Brenner vor 20 Jahren nicht belogen haben - sie haben an ihren Whisky und die Theorien in der Herstellung wirklich geglaubt. Und ich kann vieles von den damaligen Argumenten gut nachvollziehen, insbesondere, was den Einfluß der Umgebung auf den Reifeprozess ausmacht.
Das würde auch korrelieren mit einer Erkenntnis, die ich neulich angesichts eines wirklich miesen 10jährigen Laphroaig formulierte: Whisky war vor 20 Jahren besser. Er war charaktervoller, mit mehr Ehrlichkeit, Herzblut und Leidenschaft produziert. Und das konnte man schmecken.
So wird uns als Konsumenten, die mit ähnlicher Leidenschaft dem Malt Whisky zusprechen, in Zukunft nur eines übrig bleiben - und das gilt im Übrigen für alle Lebensmittel: Augen auf und genau drauf achten, wie und unter welchen Bedingungen ein Malt hergestellt wurde. Das Beispiel Ardnahoe zeigt, daß das wohl nicht immer einfach wird, lohnt sich aber. Unterstützt die Brennereien, die noch stolz alle Produktionsschritte auf dem eigenen Gelände durchführen! Das sind auf Islay (angeblich) übrigens gerade mal noch zwei: Kilchoman und Bruichladdich.

Slainthé.

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